Latein im Deutschen

Latein hat einen grossen Einfluss auf das Deutsche gehabt. Es ist zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedlichen wegen in unsere Sprache gelangt. Und die "tote Sprache" ist bei uns noch quicklebendig.

Wer früher an einer Universität studieren wollte, musste Lateinkenntnisse vorweisen. Heute wird Latein nur noch für Studienfächer verlangt, deren Stoff darauf aufbaut. Der Grund: Latein sei eine «tote» Sprache. So ganz stimmt das natürlich nicht, denn in der römisch-katholischen Kirche wird Latein sogar noch gesprochen und unzählige Wörter der europäischen Sprachen gehen auf lateinische Quellen zurück. Keine Sprache kommt ohne Wörter aus anderen Sprachen aus. Wenn neue Dinge oder Begriffe aus einem anderen Land eingeführt werden, für die die eigene Sprache noch keine Wörter kennt, werden oft auch die fremden Namen und Bezeichnungen übernommen. Als die Germanen – die Vorfahren der Deutsch Sprechenden – in den ersten Jahrhunderten n. Chr. mit der römischen Kultur in Berührung kamen, übernahmen sie mit den Gegenständen auch die lateinischen Namen dafür. Diese Begriffe wurden allmählich abgeändert und der eigenen Sprache angepasst, bis die lateinische Herkunft nicht mehr erkennbar war.

Fremde und Eingebürgerte


Hätten Sie gedacht, dass folgende Wörter lateinischen Ursprungs sind? Kaiser (von Caesar); Strasse, Zoll, Markt, Münze (Handel); Kerker, Kette, Pfand, Pacht (Gerichtswesen), Ziegel, Kalk, Keller, Pforte, Fenster (Bauwesen); Wein, Pflaume, Pfirsich, Kastanie, Feige (Landwirtschaft) und unzählige andere. Hat sich ein Fremdwort so weit eingebürgert, dass fast jeder es versteht und verwendet und es in Klang und Schreibweise kaum mehr als fremd zu erkennen ist, ist es kein Fremdwort mehr, sondern ein Lehnwort – ein aus einer anderen Sprache entlehntes, aber jetzt eingebürgertes Wort. Es ist in den Wortschatz der eigenen Sprache aufgenommen und integriert worden. Ein Beispiel ist das Wort Fenster. Die Germanen hatten offensichtlich in ihren Behausungen keine Fenster und übernahmen aus dem Lateinischen sowohl das Fenster als Gegenstand als auch das Wort fenestra als Begriff, das sich allmählich zum deutschen Wort Fenster entwickelte. Die Engländer, ebenso germanischen Ursprungs wie die Deutschsprachigen, haben dagegen das ursprüngliche Wort window behalten und abgewandelt. Es geht zurück auf das Altnordische vindauga (Windauge), worunter wir uns ein offenes Loch in der Wand vorzustellen haben, durch das der Wind ungehindert pfeifen konnte.

Vertraute Fremde


Verlassen wir die Wörter, die völlig eingebürgert sind und die wir nicht mehr als Fremdlinge erkennen, etwa Kerze, Kessel, Pfanne, Tafel, Spiegel usw. Wir hören und lesen täglich Dutzende von Wörtern, denen man eine gewisse Fremdheit noch anmerkt, die uns aber – beinahe – selbstverständlich geworden sind. Sehr viele Produktenamen sind aus dem Lateinischen abgeleitet, einerseits, weil es sich um eine wohlklingende Sprache handelt, anderseits weil das Fremde immer mehr reizt als das Alltägliche. "Häsch diini Ovo hüt scho ghaa?", lautete früher ein Werbespruch. Ovo bedeutet soviel wie Ei, und Ovomaltine weist auf seine Bestandteile Ei und Malz hin. Auch Versicherungsgesellschaften schmücken sich gerne mit lateinischen Federn: Vita (Leben), Fortuna (Glück) oder Pax (Friede) versprechen uns ein glückliches, friedliches Leben, wenn wir bei der richtigen Gesellschaft versichert sind. Wer alarmiert wurde, hatte in früheren Zeiten meist zu seinen Waffen zu greifen. Unser Wort Alarm geht zurück auf lateinisch ad arma (zu den Waffen). Und falls in einem Verein eine Arbeitsgruppe ad hoc gebildet oder ein Ad-hoc-Orchester zusammengestellt wird, so erklärt die lateinische Wortbedeutung genau den Zweck dieser Sache: ad hoc heisst nämlich zu diesem (Zweck).

Der Homo ist oft ein Ego


Die von ego abgeleiteten Formen wie Egoist, Egozentriker usw. erklären sich selber: Das Ich steht dabei immer im Mittelpunkt. Homo heisst Mensch und darf nicht verwechselt werden mit dem griechischen homo (gleich), wie es etwa in Wörtern wie homosexuell (gleichgeschlechtlich) oder homonym (gleichlautend) vorkommt. Max Frisch hat einen seiner bekanntesten Romane "Homo Faber" genannt; Homo faber ist die Bezeichnung für den Menschen, der sich Werkzeuge herstellen und sich technischer Hilfsmittel bedienen kann. Der heutige Mensch wird wissenschaftlich als Homo sapiens (vernunftbegabter Mensch) bezeichnet. Wenn wir aber täglich in die Zeitungen schauen und uns vor Augen halten, was dieser "vernünftige" Mensch in vielen Gegenden und Ländern unserer Erde anrichtet, sind wir eher geneigt, das Wort sapiens (vernünftig, weise) mit einem grossen Fragezeichen zu versehen. Im politischen Bereich hören wir öfters den Ausdruck persona non grata (unerwünschte Person). Damit ist in der Regel ein Botschaftsangehöriger gemeint, der aus dem Gastland ausgewiesen wird. Er muss in sein Heimatland zurückkehren, und falls dies die Schweiz ist, hat er an seinem Auto zu Hause einen CH -Kleber, der nichts anderes bedeutet als confoederatio helvetica (Helvetisches Bündnis, Eidgenossenschaft). In unserem Land werden nebst anderen Pro Patria-, Pro Iuventute- oder Pro Senectute-Briefmarken verkauft, die einen guten Zweck für das Vaterland, für die Jugend oder für alte Menschen erfüllen. Und wenn sich die Beziehungen zwischen zwei Staaten weder verbessern noch verschlechtern, bewahren diese Länder den Status quo (Zustand, in dem alles bleibt wie bisher).

Bildung und Beruf


Auch auf dem Gebiet des Schul- und des Berufswesens stossen wir sehr oft auf lateinische Wörter. Die Aula (Festsaal einer Schule) war einst der gedeckte Innenhof einer römischen Villa (Landhaus), während das Auditorium maximum der grösste Hörsaal einer Hochschule ist. An einer Universität (universitas bedeutet die Gesamtheit der Lehrenden und Lernenden) erhalten gute Studenten für ihre Dissertation (Doktorarbeit) die Auszeichnung summa oder magna cum laude (mit grösstem oder mit grossem Lob). Für das Medizinstudium gibt es einen Numerus clausus (beschränkte Zahl). Damit will man verhindern, dass die medizinischen Fakultäten (Universitätsabteilungen) überlaufen. Übrigens: Die grösste Gescheitheit nützt nicht viel, wenn der Körper nicht gesund ist. Daher haben schon die Römer ihre Götter angefleht und für ihren Nachwuchs Mens sana in corpore sano gewünscht (einen gesunden Geist in einem gesunden Körper). Fast alle wissenschaftlichen Bereiche, die akademischen Titel und viele gehobenen Berufe haben bis heute Bezeichnungen, die lateinisch sind oder unmittelbar aus dem Lateinischen abgeleitet wurden: Rektor (Leiter, Vorsteher), Doktor (Lehrer), Magister (Lehrer, Meister), Notar (Schreiber, Sekretär) und viele andere. Wer eine gute Stelle erhalten will, muss nebst einer überzeugenden Stellenbewerbung auch ein Curriculum vitae (Lebenslauf) verfassen. Vielleicht erlangt er später einmal die Prokura (Vollmacht) und hält diese für das Nonplusultra (etwas Unübertreffliches). Wenn er aber seine Firma (firmus bedeutet stark, fest) ruiniert, gibt es einen Zusammenlauf der Gläubiger (Concursus creditorum), und er muss tatsächlich den Konkurs erklären.

Latein im Alltag


Wenn Sie mit Ihrer Camera im Circus (Kreis der Zirkusarena) filmen, sollte Ihnen möglichst kein Lapsus (Fehler) unterlaufen, wenn Sie die Bilder später wieder ansehen möchten. Auch im Strassenverkehr gilt es aufzupassen, will man für sein Automobil (Selbstbeweger) nicht den Bonus (Rabatt für Schadensfreiheit) verlieren und einen Malus (Prämienzuschlag) bezahlen. Die Adjektive bonus und malus hiessen ursprünglich einfach gut bzw. schlecht. Vielleicht kaufen Sie bei Ex Libris (aus Büchern) etwas zu lesen. Hoffen wir nur, dass Ihr Buch nicht zu viele Errata (Irrtümer, Druckfehler) aufweist oder für ein Verbrechen missbraucht wird und dann als Corpus delicti (Gegenstand des Vergehens, Beweisstück) herhalten muss. Leider findet man heutzutage nur noch schwer eine gute Hilfskraft für Haushalt oder Betrieb, die als Faktotum (Hilfskraft für alles) eingesetzt werden kann. Fac totum bedeutet wörtlich: Mach alles! Und so kommt es quasi (gewissermassen), dass man selber den Lokus (Ort) putzen muss, bevor der Schwiegersohn oder die Schwiegertochter in spe (erhoffte, zukünftige) zu Besuch erscheinen. Die Verwendung des lateinischen Wortes locus (Ort) als Bezeichnung für WC, Toilette stammt aus einer Zeit, als man über alles Körperliche diskret schwieg oder es mit beschönigenden Ausdrücken umschrieb wie das (stille) Örtchen.

Lat. Abkrzgn.


Selbstverständlich gibt es obige Abkürzung nicht. Aber wir finden zahlreiche Buchstabenkürzel, die auf das Lateinische zurückgehen. So sind etwa die Bedeutungen der Abkürzungen a.m. und p.m., die wir uns beim Englischlernen einprägen müssen, nicht allgemein bekannt: ante meridiem bedeutet vor dem Mittag, post meridiem entsprechend nach dem Mittag. Wenn Sie sich daher mit einem Engländer oder einer Engländerin verabreden, ist es sehr wichtig zu wissen, ob das Treffen um 8 a.m. (morgens) oder 8 p.m. (abends) stattfindet. Fast jeder kennt hingegen die Abkürzungen ca. (circa = ungefähr), etc. (et cetera = und so weiter), Dr. h.c. (Doktor honoris causa = Ehrendoktor), i.e. (id est = das heisst, das ist), NB (nota bene = übrigens), N.N. (nomen nescio = Name nicht bekannt) oder PS (Postskriptum = Nachschrift).

Monatsnamen


Diese kleine Auswahl von lateinischen Wörtern, Ausdrücken und Redewendungen sollte Ihnen zeigen, wie stark das Latein unsere gegenwärtige Sprache noch prägt, auch wenn die Schreibung der Wörter meist der deutschen Orthografie angepasst worden ist. Es ist also bestimmt keine tote, sondern eine in vielen Wörtern und Ausdrücken weiterlebende Sprache. Auch viele Monate, wie der Juni (von Iunius, der Göttin Juno geweiht), der Juli (zu Ehren von Julius Caesar), aber auch September (im julianischen Kalender der 7. Monat), Oktober (der 8.), November (der 9.) und Dezember (der 10. Monat) haben noch lateinische Namen. Rudi Bentz, Dr. phil. Mittelschullehrer © hk Verlag
Fremdwörter verstehen
Das Fremdwortwissen für Schule, Studium und Beruf
Zu den Lernheften
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