Rechtschreibung

Rechtschreibung wird nicht selten als Mühsal oder überholte Formalität empfunden. Rechtschreibung sei unwichtig, sie binde unnötig geistige Ressourcen, sie schränke die freie Entfaltung ein oder behindere die Kreativität. Im digitalen Zeitalter könne man die Rechtschreibkompetenz getrost Maschinen überlassen. Das Thema Rechtschreibung ist ein Dauerbrenner.

Bis ins 19. Jahrhundert war der deutschsprachige Raum in eine Vielzahl Kaiser- und Königreiche oder Fürstentümer aufgeteilt. Beim Schreiben galten ganz unterschiedliche Gepflogenheiten. Die einen schrieben so, wie man spricht, andere hielten sich an behördliche Vorbilder oder sonstige Einflüsse. Dementsprechend existierten im deutschsprachigen Raum viele Rechtschreibvarianten nebeneinander.

Der Duden von 1880


Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871, aber auch wegen der stark und rasch gestiegenen Zahl an Druckerzeugnissen wuchs das Bedürfnis nach einer übergreifenden Regelung der Rechtschreibung. 1880 nahm Konrad Duden dieses Anliegen auf und schuf unabhängig von Behörden aus eigener Initiative ein Regelwerk, das unterschiedliche regionale Ansprüche unter einen Hut brachte und bald breit akzeptiert war: die 1. Auflage seines Wörterbuches, eines relativ dünnen Buches mit ca. 27'000 Stichwörtern. Nach der II. Orthographischen Konferenz 1901 war der Duden die offizielle Instanz für Rechtschreibung, die auch in Österreich und in der Schweiz galt.

Der Duden von 1996


In den 1980er-Jahren erhielt das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim von den zuständigen Stellen in Deutschland den Auftrag, eine Reform der deutschen Rechtschreibung auszuarbeiten. Das Resultat, das von Vertretern Österreichs und der Schweiz abgesegnet worden war, bekam die breite Öffentlichkeit 1996 zu Gesicht. Die 21. Auflage des Dudens, der sogenannten "Reformduden", löste gleich einen Sturm der Entrüstung aus. Denn zu viele Neuerungen waren unlogisch oder störten das Sprachgefühl vieler. Es war beispielsweise war kaum nachvollziehbar, dass man neu kostendeckend zusammen-, Kosten sparend aber getrenntschreiben musste und nicht mehr, wie bisher, in beiden Fällen zusammen.

Die neuen Regeln wurden 1998 gegen grossen Widerstand zwar eingeführt, doch namhafte Verlage und Zeitungen blieben bei der alten Regelung oder stellten eigene Hausorthografien auf. Es herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung grosse Unsicherheit in Hinblick darauf, was nun richtig sei. Immer weniger Menschen waren bereit, sich an die offiziellen Vorgaben zu halten. Die umstrittene Regelung von 1996 musste dringend überarbeitet werden.

Der Rat für deutsche Rechtschreibung


Zu diesem Zweck wurde 2004 der Rat für deutsche Rechtschreibung ins Leben gerufen. Dem Gremium gehören 40 Mitglieder an. Von diesen stammen 18 aus Deutschland, je neun aus Österreich und der Schweiz und je eines aus dem Fürstentum Liechtenstein, aus der Provinz Bozen-Südtirol und aus Belgien und aus Luxemburg. Die Mitglieder sind entweder Sprachwissenschaftler oder Praktiker, etwa aus dem Verlagswesen, dem Bildungsbereich oder dem Journalismus. Aufgabe des Rates für deutsche Rechtschreibung ist es, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und wenn nötig weiterzuentwickeln. Das vom Rat herausgegebene Regelwerk, die Amtliche Regelung der deutschen Rechtschreibung, ist für Behörden, Schulen, Schulbuchverlage oder Herausgeber von Wörterbüchern verbindlich.

Tatsächlich präsentierte der Rat schon bald eine überarbeitete Regelung der Rechtschreibung, die am 1. August 2006 in Kraft trat. Im neuen Regelwerk waren viele der kritisierten Regeln von 1996 entschärft oder rückgängig gemacht. In vielen Fällen waren fortan Varianten möglich: kostensparend / Kosten sparend oder kostendeckend / Kosten deckend, um beim bereits erwähnten Beispiel zu bleiben.

Der Duden von 2006


Die 24. Auflage des Dudens erschien 2006. Sie basierte auf der Amtlichen Regelung von 2006 und stiess in breiten Kreisen auf Zustimmung, so dass die Diskussionen rund um die Rechtschreibung bald nachliessen. 2007 stellten die FAZ, der Spiegel, der Springer-Verlag und die meisten deutschsprachigen Nachrichtenagenturen auf die neue Rechtschreibung um. Heute ist die Amtliche Regelung von 2006 umgesetzt und kaum mehr umstritten. Von Zeit zu Zeit gibt es kleinere Anpassungen des Regelwerkes. So wurden 2017 die Schreibweisen weniger Wörter angepasst und das Scharf-s auch als Grossbuchstabe eingeführt. Auf dem neuesten Stand ist natürlich auch der Duden, dessen 27. Auflage ebenfalls im Jahre 2017 erschien und der mit 145'000 Einträgen nochmals 5'000 Wörter mehr verzeichnet als sein Vorgänger.

Die Grossschreibung


Die Grossschreibung ist eine Eigenart des Deutschen. Grundsätzlich werden nebst den Satzanfängen und den Eigennamen alle Nomen grossgeschrieben. Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, dass jedes Wort in bestimmten Fällen als Nomen angesehen und dann grossgeschrieben werden muss. Eine solche Substantivierung liegt, vereinfacht ausgedrückt, dann vor, wenn einem Wort ein Begleiter vorangestellt ist.
Doch wie kam es zu dieser Grossschreibung? Das lässt sich sprachhistorisch etwa so erklären: Im Mittelalter bereits wurden Anfänge von Zeilen oder Absätzen mit Schmuckbuchstaben verziert, die wesentlich grösser waren als die andern Buchstaben. Bald wurden auch einzelne «wichtige» Wörter wie Eigennamen, Titel oder religiöse Begriffe mit grossen Anfangsbuchstaben geschrieben. Im 16. Jahrhundert schrieb man die Substantive bereits weitgehend gross. Die heutige Grossschreibung, die auf der Wortbedeutung und auf grammatikalischen Überlegungen basiert, hat ihren Ursprung im 17. Jahrhundert, also im Barock.

In der Vergangenheit ist immer wieder angeregt worden, die gemässigte Kleinschreibung einzuführen. Demnach würden nur Satzanfänge und Namen grossgeschrieben, wie man das in vielen anderen Sprachen kennt. Die Befürworter der gemässigten Kleinschreibung weisen darauf hin, dass sich in der Schule wertvolle Zeit einsparen und sinnvoller verwenden liesse. Wer Deutsch lerne, müsse sich nicht mehr mit unnötigen Regeln herumschlagen. Zudem seien die Vorteile der Grossschreibung nicht erwiesen. Die Anhänger der Grossschreibung führen ins Feld, die Grossschreibung sei als Eigenheit der deutschen Sprache ein Kulturgut und tief im Bewusstsein der Sprachbenutzer verwurzelt. Zudem seien komplexere Texte einfacher zu lesen und leichter verständlich, wenn Grossbuchstaben dem Leser als Orientierungshilfen dienten.

«Rechtschreibung ist nicht wichtig. Aber man muss sie können.»


Dieses Zitat des Schweizer Linguisten Hans Glinz hat nichts an Aktualität eingebüsst. 2012 fasste «Blick Online» eine Umfrage unter 2200 erwachsenen Singles zum Thema Chatten wie folgt zusammen: «Es gibt ein paar Dinge, die Sie Ihrem Gegenüber lieber nicht antun sollten. Als grösster Abturner erweist sich dabei mangelhafte Rechtschreibung».
In der Pendlerzeitung «20 Minuten» erschien 2012 ein Bericht, wonach in Deutschland und in der Schweiz viele Uniprofessoren alarmiert seien, da immer weniger Studenten einen korrekten Text aufs Papier bringen könnten. Namentlich die fehlende Rechtschreibkompetenz wurde beklagt. Und 2017 wurde der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern in der NZZ noch deutlicher. Viele Studenten hätten Mühe mit Grammatik und sprachlichem Ausdruck. Schreibfehler, Fallfehler, mangelnde Interpunktion oder falscher Ausdruck seien Zeichen des dramatischen Kompetenzverlustes. Im Studium sei es zu spät, korrektes Deutsch zu lernen. Wer Rechtschreibung nicht beherrsche, solle etwas anderes als Jura studieren.

In Beruf oder Studium, aber auch privat sind Rechtschreibkenntnisse also unentbehrlich. Schüler, Studenten und Berufsleute wollen eigene und fremde Texte auf ihre orthographische Korrektheit hin überprüfen können. Und das auch im digitalen Zeitalter, denn oft muss ein Blick auf ein Dokument genügen, um sich von seiner formalen Korrektheit zu überzeugen.

Die sprachliche Grundkompetenz, zu der auch die Rechtschreibkompetenz gehört, erwirbt man in der Grundschule, aber auch in der Sekundar- oder Mittelschule oder im Selbststudium. Die Rechtschreibung kann man mit vernünftigem Aufwand lernen, denn für vieles gibt es nachvollziehbare Regeln: Im Bereich der Grossschreibung gilt es, das Prinzip der Substantivierung zu verstehen. Bei der Schreibung der Laute spielt das Stammprinzip eine wichtige Rolle, und auch für das Dehnen und Kürzen von Silben gibt es Regeln. Doch es gibt auch Fälle, die man sich einzeln einprägen muss.

Die Auseinandersetzung mit den Rechtschreibregeln schärft den Blick auf die Sprache und regt zu einem bewussteren Umgang mit Texten an. Zudem gehört es zur Allgemeinbildung zu wissen, wie in der eigenen Sprache verschriftet wird.

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© 2017 hk Verlag – Version 03


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