Verpönte Wörter

Die Sprache beschert uns Schönes, aber auch Unangenehmes. Schon immer hat es beispielsweise Wörter gegeben, die man – zumindest in der Öffentlichkeit – nicht verwenden durfte. Sie waren tabu: verboten oder verpönt. In unserer Zeit ist der Sprachgebrauch viel offener geworden. Man nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. Gibt es aber auch heute noch sprachliche Tabus?

In seinem Buch «Sprach-Knigge» berichtet Ernst Leisi folgende Begebenheit: Im Sommer 1837 begleitet ein englischer Kapitän eine junge amerikanische Dame auf einem Spaziergang in der Nähe der Niagara-Wasserfälle. Sie gleitet aus, marschiert aber leicht hinkend weiter. Auf seine teilnehmende Frage, ob ihr das Bein weh tue, läuft sie entsetzt und beleidigt davon. Er eilt ihr nach, und schliesslich teilt sie ihm mit, dass er in Amerika in Anwesenheit einer Dame nie und nimmer das Wort «Bein» hätte benutzen dürfen. So prüde ging es damals zu, und die Amerikaner waren – aus heutiger Sicht – noch verklemmter als die Engländer. Nicht einmal einen Hähnchenschenkel nannte man beim Namen; man nannte ihn drumstick (Trommelschlegel), um jede Anspielung auf das Wort «Bein» zu vermeiden. Hühnerbrust nannte man einfach white meat (weisses Fleisch), denn breast (Brust) hätte einen ja auf dumme Gedanken bringen können. Warum heisst der Hahn in Amerika heute rooster und nicht cock wie ein England? Cock war früher auch eine volkstümliche Umschreibung für Penis. Und weshalb sagen die Amerikaner auch heutzutage zum kleinsten Steinchen rock statt stone ? Weil stone auch eine Bezeichnung für die Hoden war. Um jede Anspielung oder Doppeldeutigkeit auszuschliessen, verwendete man deshalb ganz andere Wörter.

Religiöse Tabus


Die ersten Tabus stammen vermutlich aus dem Bereich der Religionen. Das Wort Tabu kommt aus dem Polynesischen und bezeichnet ein religiöses Verbot. Was mit einem Tabu belegt war, durfte nicht verwendet oder gesagt werden. Auch die Zehn Gebote enthalten ein solches Tabu: «Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.» Dahinter steckt die Überlegung, dass etwas Heiliges nicht in den Schmutz gezogen werden sollte. So nannten die Juden im Alten Testament ihren Gott Adonai (mein Herr), weil sie den Gottesnamen Jahwe aus religiöser Scheu nicht verwenden wollten. Geschrieben wurde der Name mit den Konsonanten JHWH , ausgesprochen jedoch niemals. Im Christentum scheute man sich, den Namen Gottes leichtfertig zu verwenden. Flüche, in denen heilige Namen vorkamen, wurden daher umgeformt: Sapperlot, sapperment, Sack Zement, Gopfertelli, Potzblitz, verflixt (verflucht) entstanden, weil man die heiligen Namen Sakrament, Gott, Jesus usw. nicht missbrauchen wollte. Umgekehrt meidet man auch bis in die heutige Zeit den Namen des Teufels, da man glaubt, ihn mit der Nennung seines Namens herbeizulocken. Man wählt daher Umschreibungen wie der Böse, der Antichrist, der Leibhaftige oder der Widersacher, um dem Satan ja keine Chance zu geben, sich angesprochen zu fühlen. Woher kommt diese Furcht davor, bestimmte Namen auszusprechen?

Sprache gibt Macht


Dass die Menschen der Sprache schon immer grosse Macht zugeschrieben haben, zeigen die vielen Zaubersprüche, die es in verschiedenen Sprachen gibt. Mit deren Hilfe versuchte man, Tiere oder Gegenstände zu verwandeln und Menschen zu heilen oder zu verhexen: Abrakadabra, Simsalabim, Hokuspokus… Goethes Ballade «Der Zauberlehrling» zeigt eindrücklich, in welche schlimme Lage der junge Zaubergehilfe gerät, da er das Wort vergessen hat, das den Wasser schöpfenden Knecht wieder in einen Besen zurückverwandelt. Eigennamen wird ebenfalls grosse Bedeutung beigemessen. Wenn ich in einer Menschenmenge laut «Hallo» sage, drehen sich vielleicht einige Leute um, beachten mich aber nicht weiter. Rufe ich dagegen «Lukas» oder «Herr Tanner», reagiert zumindest jeder, der Lukas oder Tanner heisst; ich kann ihn mit der Nennung seines Namens in den Bann ziehen. In einem der Grimm’schen Märchen besiegt die Königin einen bösen Kobold dadurch, dass sie seinen Namen in Erfahrung bringt: Rumpelstilzchen. Bei vielen Naturvölkern wird der Name einer Person nur Freunden und Verwandten mitgeteilt, damit kein Aussenstehender Macht über den Träger des Namens erlangt. Die Macht der Sprache zeigt sich aber auch in den Medien. Viele Karrieren sind schon geknickt, viele Ehen oder sogar Leben zerstört worden durch den Einfluss der Regenbogenpresse, wenn diese Halbwahrheiten berichtet und dadurch den Ruf von unbescholtenen Menschen in ein schiefes Licht rückt.

Sprache und Sexualität


1936 nahm Eric Partridge das Wort fuck in sein englisches Slang-Wörterbuch auf. Obwohl er es f*ck drucken liess, kam es zu einem Sturm der Entrüstung. 1959 gab es einen noch grösseren Aufruhr, als der Roman «Lady Chatterley’s Lover» des englischen Autors D. H. Lawrence in New York veröffentlicht wurde. Darin kamen Wörter vor, die vorher noch nie gedruckt worden waren. Das Buch wurde damals wegen angeblicher Obszönität verboten. In der Zwischenzeit haben sich die Sitten ziemlich gelockert. Aber auch heute ist noch eine starke Abneigung gegen die Verwendung obszöner Wörter in der Öffentlichkeit zu spüren. Untersuchungen zeigen, dass ältere Menschen solche Wörter eher ablehnen als jüngere, Frauen sie weniger verwenden als Männer. Das hat zweifellos mit der Erziehung und dem gesellschaftlichen Umfeld zu tun, in dem man aufgewachsen ist. Nach den Studentenunruhen von 1968 wurden die Sitten lockerer – und damit auch die Sprache. Trotzdem stören sich heute noch die meisten Menschen an vulgären Wörtern für die Sexualität, wenn damit die körperliche Liebe zu einer rein mechanischen Angelegenheit gemacht wird. Ficken hiess ursprünglich «hin und her bewegen, reiben jucken», vögeln stammt aus dem Mittelalter, als man Falken und andere Greifvögel züchtete und sie gezielt begatten liess; bumsen (dröhnend aufschlagen) lässt eher an einen Hammer als an Liebe denken. In Heinrich Bölls Erzählung «Die verlorene Ehre der Katharina Blum» erschiesst Katharina einen zudringlichen Reporter, der sie befragen möchte, zuerst aber einmal mit ihr «bumsen » will. Später berichtet sie darüber: «Aber dieser Kerl – und dann ‚Bumsen’, und ich dachte: Gut, jetzt bumst’s.»

Beschönigendes


Wenn in der Sprache ein Ereignis beschönigend umschrieben wird, spricht man von einem Euphemismus. Solche Verhüllungen sind häufiger, als man glaubt, denn die Menschen scheuen sich vor direkten Aussagen. Bereiche, in denen man Euphemismen verwendet, sind – nebst der Sexualität – der Tod, die Körperfunktionen, das Aussehen und die Intelligenz. Für «sterben» lesen wir beispielsweise Umschreibungen wie entschlafen, dahinscheiden, das Dasein vollenden, abberufen werden, zur ewigen Ruhe eingehen, das Zeitliche segnen und viele mehr. Für die natürlichen Körperfunktionen verwenden wir Ausdrücke wie ein Geschäft erledigen, eine Sitzung abhalten, Ballast abwerfen, das stille Örtchen aufsuchen, austreten, sich in die Büsche schlagen, verschwinden müssen, Wasser abschlagen usw. Ist jemand dick, so hört man beschönigende Formen wie beleibt, korpulent, vollschlank, fest, mollig, wohlgenährt, rund, gut beieinander usw. Und statt den sehr direkten Worten «dumm» oder «faul» verwenden wir Ausdrücke wie unbedarft, unverständig, unklug, zurückgeblieben sowie untätig, bequem, müssig, phlegmatisch, apathisch, teilnahmslos.

Direktes


Selbstverständlich hören wir auch direkte Wörter und Kraftausdrücke – in der heutigen Zeit wohl öfter als je zuvor. Besonders das Englische shit und fuck haben Einzug in die deutsche Sprache gehalten. Vermutlich werden sie so häufig und locker verwendet, weil ihre Bedeutung für Deutschsprachige weniger offensichtlich ist. Man kann sie quasi zitieren wie fremde Ausdrücke, die einen persönlich weniger betreffen. Auch in Beleidigungen oder Flüchen kommen Fäkalien und Körperteile vor, die man sonst eher verschweigt. Schon Goethe verwendet in seinem Drama «Götz von Berlichingen » (1773) einen saftigen Ausdruck: Einem feindlichen Boten ruft Götz zu: «Sag deinem Hauptmann: vor Ihro Kaiserlichen Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber sag’s ihm, er kann mich am Arsch lecken.» Bis in unsere Zeit hat man diese Stelle vertuscht, indem man in den Buchausgaben die letzten drei Wörter durch drei Gedankenstriche ersetzte. Auf weitere Beispiele aus der untersten Schublade soll hier verzichtet werden. Übrigens: Einige Sprachen sind bekannt für ihre kräftigen Flüche, z.B. Türkisch, Russisch oder Arabisch («Du Vater von sechzig Hunden!» – «Du Sohn einer Memme!»). Demgegenüber gibt es Völker, die wenig oder gar nicht fluchen, wie Indianer, Polynesier oder Japaner.

Neue Tabus


Wörter, die man früher nicht gebrauchte, weil sie verboten oder verpönt waren, schockieren uns heute kaum noch. Vielleicht regt sich das Grosi auf, wenn seine zehnjährige Enkelin eine CD als «geil» bezeichnet oder «Scheisse » sagt, wenn sie sich das Knie angestossen hat. Aber auch die Generation der Grosseltern hat erkannt, dass solche Wörter heute einen ganz anderen Wortinhalt haben als früher. Dagegen müssen sich ältere Menschen heute an neue Tabus gewöhnen. Sie haben vielleicht jahrelang Wörter verwendet, die damals kaum Anstoss erregten: Serviertochter, Dienstmädchen, Putzfrau, Hilfslehrer; Neger, Zigeuner; Krüppel, Idiot, Irrenanstalt oder Klapsmühle. Heute müssen sie feststellen, dass diese Wörter tabu sind und ersetzt werden müssen durch: Kellnerin oder Serviererin, Hausangestellte, Raumpflegerin, Lehrbeauftragte/ r; Schwarze oder Afro-Amerikaner; Sinti und Roma; Behinderte, psychisch Kranke, psychiatrische Klinik. Allgemein kann gesagt werden, dass Minderheiten heute nicht mehr durch verächtliche, abschätzig klingende Wörter diskriminiert werden dürfen. Im Weiteren gilt zwar, dass uns heute Schimpfwörter, Flüche und «unanständige » Ausdrücke weniger schockieren, als das früher der Fall war. Trotzdem: Wer es im Beruf oder in der Gesellschaft zu etwas bringen will, muss sich auch heute noch an die Regeln des guten Tons halten, sei es im Benehmen, sei es im Sprachgebrauch. Einem zwölfjährigen Schüler verzeiht man vielleicht noch, wenn er sagt: «Das scheisst mich an!», nicht aber einem (jungen) Erwachsenen. Moderner Knigge ist wieder «in».

Rudi Bentz, Dr. phil. Mittelschullehrer © hk Verlag


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